Reiner Kontressowitz
Fünf Annäherungen zu den Solokonzerten von Friedrich Goldmann
Verlag/Label: Kamprad, Altenburg 2014, 280 Seiten, 34,80 Euro
Rubrik: Bücher; erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 01/2015, Seite 94
Der 2009 verstorbene Friedrich Goldmann erlebte zwar
merkwürdigerweise keine Aufführung eines seiner Werke
in Donaueschingen, erfährt aber nun mit dem vorliegenden Buch
eine grundlegende Studie zu seinem kompositorischen Schaffen. Dabei
beschränkt sich der Autor Reiner Kontressowitz keineswegs auf
Form- und Materialanalysen, sondern versteht die hier verhandelten
Solokonzerte Goldmanns für Posaune, Violine, Oboe bzw. Klavier
darüber hinaus als Abbilder gedachter gruppendynamischer
Prozesse. Zu dieser inhärenten Thematik hat sich nicht nur
Goldmann selbst geäußert, sondern der Autor
schließt dies auch aus Goldmanns Bibliothek, in der sich
entsprechende soziologische Standardwerke von Niklas Luhmann und
anderen befanden. Wenn Kontressowitz nun seine hochdifferenzierten
Formanalysen immer wieder auf Konstellationen zwischen Individuum,
Gemeinschaft und Gesellschaft bezieht, so erscheint dies nicht nur
interessant, sondern auch schlüssig, jedenfalls sehr viel
präziser als die bloße Behauptung eines
Zusammenhangs zwischen Kunst und Gesellschaft; und dies, auch wenn man
nicht alle Folgerungen akzeptieren muss und der Autor selbst
gelegentlich von Mutmaßungen spricht. Die im Verlauf der
einzelnen Werke unterschiedlichen strukturellen Beziehungen zwischen
dem Solisten als «Individuum» und der Orchester-
oder Ensemble-«Masse» erhalten dadurch einen
semantischen Hintergrund, der dem Hören bzw. Lesen der Werke
neuartige Spannung verleiht. Jede der fünf
«Annäherungen», wie er seine Kapitel
nennt, beginnt demzufolge mit ausgedehnten soziologischen Exkursen
[…] Dass
«Gesellschaft … ein
Produkt des
Menschen» sei (S. 152), wie Kontressowitz zitierend
feststellt, ist eine eher banale Feststellung, die er auch alsbald
konkretisiert dahingehend, dass gesellschaftliche Objekte,
objektivierte Strukturen, schon längst da sind, bevor das
Individuum die Welt betritt (S. 153). Die verdinglichten Herrschafts-
bzw. Klassenverhältnisse dieser «Objekte»
benennt er nicht mit diesen Worten, vielleicht klänge ihm dies
zu marxistisch. Dabei ist der Bezug dieses Denkens zu den Werken
durchaus einleuchtend. […]
Hartmut Lück
Der Abdruck in dieser auszugsweisen Form erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Rezensenten und des Verlages.
Reiner Kontressowitz
Fünf Annäherungen zu den Solokonzerten von Friedrich Goldmann
Verlag/Label: Kamprad, Altenburg 2014, 280 Seiten, 34,80 €.
erschienen in: positionen 105, Nov. 2015
Bezugsquelle: http://shop.positionen.net Annäherungen an Friedrich Goldmann
Reiner Kontressowitz hat mit seiner Untersuchung der Solokonzerte des 2009 verstorbenen Komponisten Friedrich Goldmann eine ebenso fundierte wie anregende Studie vorgelegt, die durch die gründliche Vertrautheit des Autors — ehemals Verlagslektor des Komponisten — mit den Partituren besticht. Die gleichermaßen ausführlichen wie genauen Analysen des Violinkonzerts, des Posaunenkonzerts, des Oboenkonzerts sowie des Klavierkonzerts, sämtlich in den 1970er Jahren in der DDR entstanden, gliedern sich in insgesamt fünf thematisch klug gewählte Annäherungen, die allesamt zentrale Anliegen Goldmanns herausarbeiten. Dem Komponisten ging es, wie Kontressowitz treffend bemerkt, in seinen Werken immer auch um soziale Aspekte, so dass Kapitelüberschriften wie Gruppendynamik (Annäherung 1), Soziale Systeme (Annäherung 4) oder Führung — Hierarchie — Herrschaft — Macht (Annäherung 5) zweifellos den Kern Goldmannschen Komponierens treffen. Zahlreiche Tabellen und Notenbeispiele lassen die Lektüre vor allem für Experten aus den Bereichen Musiktheorie oder Komposition ergiebig erscheinen.
Doch auch für Laien ergeben sich durch die zahlreichen theoretischen Überlegungen Anknüpfungspunkte. Der Autor spart nicht an Verweisen auf Soziologie, Psychologie oder Philosophie. […] Positiv hervorzuheben ist, dass Kontressowitz in seinen Deutungen an keiner Stelle apodiktisch argumentiert (wie es gerade bei semantischen Analysen allzu häufig geschieht), sondern dass immer wieder Deutungsmöglichkeiten zur Diskussion gestellt werden und dabei prinzipiell Offenheit vorherrscht.
[...] Anliegen des Autors war es jedoch offensichtlich, aus musiktheoretisch-philosophischer Sicht ausschließlich einen deutenden Blick auf Goldmanns Werke selbst zu werfen und sich dabei der Erkenntnisse geisteswissenschaftlicher Nachbardisziplinen zu bedienen.
Trotz der Kritik an der fehlenden zeitgeschichtlichen Kontextualisierung, […] handelt es sich bei dem Buch von Reiner Kontressowitz um eine gehaltvolle und an musikalischen Funden reichhaltige Studie, deren Anliegen, einen Blick auf heute immer noch wenig beachtete Werke der jüngeren DDR-Musikgeschichte zu werfen, kaum genug gewürdigt werden kann.
Nina Noeske
Der Abdruck in dieser auszugsweisen Form erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rezensentin und des Verlages.
Dr. Gerhard Müller (Berlin) in einem Brief vom 16.10.2014 an Reiner Kontressowitz
…
mit großer Freude und Erstaunen habe ich Dein Buch über
Friedrich Goldmann erhalten und mich gleich in die schwierige Materie
deiner Gedankengänge hineinbegeben, nicht ohne Unterbrechungen,
denn leicht liest sich das nicht. Das erklärt, wenn es sie auch
nicht entschuldigt, meine späte Antwort. Eigentlich müsste
man immer gleich die Partituren neben Deine Texte legen, damit man sich
den Gesamteindruck der Konzerte immer vergegenwärtigt. Für
künftige Goldmann-Monografien ist Deine Schrift nun eine solide
und unerlässliche Grundlage. Endlich einmal ist er aus dem
ideologischen Sumpf des Feuilletons, soweit es ihn überhaupt zur
Kenntnis nahm, heraus, heraus aus diesem Gefasel vom zu spät
gekommenen „ostdeutschen Komponisten", der immer nur Moden
aufgegriffen habe, als sie im „Westen“ schon vorbei waren.
Bemerkenswert finde ich vor allem Deinen Ansatz, Sozietät nicht
als Programm-Musik in die Partituren hineinzuinterpretieren, sondern
sie aus der Struktur herzuleiten, was natürlich einschließt,
dass man seine Musik beim „Durch-Hören“ auch
„durch-denken“ muss. In dieser Beziehung war er ein
geistiger Zeitgenosse von Stockhausen, Nono, Boulez, nicht nur ein
zufälliger Mitlebender. …
Der Abdruck in vorliegender Form erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Dr Müller .