Tomaso Albinoni

Vita und Werk

Über den Lebensweg Albinonis ist nur sehr wenig bekannt, über seine Ausbildung nichts. Die Ergebnisse erster gründlicher Nachforschungen in den italienischen Archiven legte Remo Giazotto 1945 in seinem Buch über „Tomaso Albinoni“ nieder. Nicht minder umfassend, doch kritischer, beschäftigt sich Michael Talbot in seinem Buch „ALBINONI – Leben und Werk“ (Adliswil 1980) mit dem Komponisten. Vorausgegangen waren seine unveröffentlichte umfangreiche Dissertation aus dem Jahre 1968 (Cambridge) über „The instrumental Music of Tomaso Albinoni“ und die in der Folge veröffentlichten Einzelstudien, etwa zum Concerto-Allegro im frühen 18. Jahrhundert (1971) oder zu den Oboenkonzerten (1973).

Der Familienname Albinoni lässt sich weit zurückverfolgen. So findet man zahlreiche Träger dieses Namens im 16. Jahrhundert in Bergamo. Die Übersiedlung nach Venedig erfolgte wahrscheinlich Anfang des 17. Jahrhunderts. Bergamo unterstand zu jener Zeit der venezianischen Regierung. Für den betreffenden Zeitabschnitt gibt es zwei, die den Namen Tomaso Albinoni tragen. Der ältere wurde 1671 als Sohn der Eltern Antonio Albinoni und Lucrezia Fabris geboren, die 1668 in San Moisè geheiratet hatten; der jüngere, geboren 1777, war ein Sohn von Ardegno Albinoni, der uns in diesem Zusammenhang nicht interessiert. Die Albinonis gehörten zu den angesehenen Familien des venezianischen Bürgertums. Ein Nachweis dafür ist u.a. die Tatsache, dass sie zusammen mit der Familie Polani – Repräsentant des alten Adels der Republik – in den Kirchen San Moisè und San Girolamo eine Grabstätte besaßen.

Der Ehe Antonios mit Lucrezia Fabris entstammen acht Kinder, zwei von ihnen starben wahrscheinlich sehr früh: Margherita (geb. 1670, spätere Nachrichten fehlen), Tomaso (geb. 1671), Angela (1673), Domenico (1675), Giustina (1677), Giovanni (1679), Caterina (1680) und Giovanni Pietro (geb. 1686, spätere Nachrichten fehlen). Tomaso wurde also als zweites Kind am 8. Juni 1671 in Venedig geboren. Die Geburtsakte befindet sich in San Marco und enthält neben dem Taufdatum, 14. Juni 1671, eine Angabe über die Tätigkeit des Vaters: „cartoler“, Papierhändler. Dieser hatte ein Geschäft in San Moisè mit der Bezeichnung „Diamante“ und gegenüber der Kirche San Moisè ein Grundstück mit einem Haus und einen Garten im Prato del Friuli. Tomaso heiratete 1705 Margherita Rimondi aus Verona und mietete ein Haus in San Troveso. Der Vater starb am 23. Januar 1708 und hinterließ dem ältesten Sohn das Papiergeschäft. Tomasos Interesse galt aber offenbar ausschließlich der Musik, und so verpachtete er das Geschäft für 25 Dukaten im Jahr.

Seine ersten Instrumentalwerke waren bei dem venezianischen Verleger Giuseppe Sala und bei dem berühmten Verlagshaus Roger in Amsterdam erschienen. Zu Lebzeiten des Vaters erschien auf dem Titelblatt der Ausgaben neben dem „Musico di violino“ das Epitheton „dilettante veneto“. „Dilettante“ war ein Status, wie er u. a. auch von seinen Zeitgenossen Alessandro (1669-1747) und Benedetto (1686-1739) Marcello (Arthur J. B. Hutchings, „The Baroque Concerto“, London 1961, S. 172, gibt den Titel von Benedetto Marcellos Sechs Concerti a cinque, con violino solo, e violoncello obbligato, di Benedetto Marcello, mit Nobile Veneto Dilettante di Contrapunto wieder.), sowie von Francesco Antonio Bonporti (1672-1748) und Enrico Albicastro bekannt ist (eigentlich Weißenburg, um 1670- um 1738, Hutchings schreibt, dass „Van der Straeten discovered in the registers of Leyden University for 1686 both ‚Rittmeister Henricus Albicastro’ and ‘Heinrich Weysenbergh’ and he is described as ‚Musicus’ as well as ‚Rittmeister’.“).

Nach dem Tode des Vaters wurde das Komponieren und Musizieren des ‚dilettante veneto‘ nun offenbar ein berufsmäßiges, denn von Opus VI an (ca. 1711) nennt Albinoni sich „Musico di violino“. Die guten, frühzeitig geknüpften Verbindungen zu den „nobili veneziani e milanesi“ und zu den „principi e regnanti“ sicherten ihm wohl gewisse Einnahmen. Die Beziehungen des Bruders Domenico; der als Page in den Diensten von Anna Maria, der Ehefrau des Neffen von Papst Alexander VIII., Antonio Ottoboni, stand, ermöglichten ihm zum Beispiel die Zueignung seines Opus I an Kardinal Pietro Ottoboni.

Im Jahre 1720 hielt sich seine Ehefrau, die Sängerin Margherita Albinoni-Rimondi, in München auf. Am 12. Oktober „sang sie die Rolle der Lucilla in P. Torris „Lucio Vero“ mit dem berühmten Castrato Antonio Bernacchi in der Titelrolle“ (Michael Talbot, „Albinoni“, Adliswil 1980, S. 51). Dem Dekret vom 20. September 1720 zufolge, das Franz Michael Rudhart zitiert („Geschichte der Oper am Hofe zu München“, Freising 1865, S. 100), waren „zu der auf den 12. Oktober bevorstehenden opera die Virtuosen-Musikanten Antonio Bernacchi, Diana Vico und Margarita Albinoni aus Italien anher vociret, und selbigen nach gesungener opera zu einem recompens jedem 300 Max d’ors zugesagt mit dem Befehle, solche Summa, nach gehaltener opera alsogleich richtig und unfehlbar zu bezahlen, folglich gedachte Virtuosen an ihrer Rückreise, welche selbige gleich nachher zu nennen gedenken zu churfürstl. Disreputation nit aufgehalten werden sollen“. Die Notizen Max Emanuel Graf von Preysings, der als hoher Beamter des bayerischen Hofes unter den Kurfürsten Karl Albrecht und Maximilian III. Joseph tätig war, belegen ebenfalls den Aufenthalt Tomaso Albinonis mit seiner Frau 1720 in München. Unter dem 4. November findet sich folgende Eintragung: „ ... öffentliche Taffl, wo auch die Churfürstin nebst der Herzogin sich eingefunden ... war Tafflmusik, wobei nebst anderen die Albinoni gesungen“. Max Zenger („Geschichte der Münchener Oper“, München 1923) notiert zum Jahr „1722: mit großem Prunk zur Vermählung des Kurprinzen Karl Albrecht mit Maria Amalia, der Tochter Kaiser Josephs I. „Adelaide“ (18. Oktober) und das Karoussel „La publica felicità“ (28. Oktober). Die übrigen Stücke „I veri amici“ (am 24. Oktober) und das Schlußturnier am 4. November komponierte Albinoni.“ (Zenger S. 31) Und an anderer Stelle heißt es: „Außer Torris Opern wurden bis zu seinem Tode namentlich nachweisbar noch folgende gegeben: 1718 Vivaldi „Constanza trionfante“, 1722 Albinoni „Veri amici“ und das Schlußturnier „Il trionfo d’amore“ (vorher in Dachau und Nymphenburg ein Schäferspiel „Dafne“ unbekannter Herkunft), endlich als Zwischenaktspiele der großen Oper Albinonis „Vespetta e Pimpinone“ (Zenger, S. 32). Die Mitteilung Francesco Saverio Quadrios („Della storia e della ragione d’ogni poesia“, Bologna 1739ff., Band V, S. 537), die Sopranistin Margherita Albinoni „comincia a fiore“ nach 1720 ist nicht recht zu erklären, denn sie starb bereits 1721. Den Eintrag im Registro dei morti 1699-1721 gibt Giazotto (S. 316) wieder. Durch Johann Mattheson („Critica Musica“, Hamburg 1722, S. 255) ist zur Aufführung von „I veri Amici“ der Bericht eines Augenzeugen erhalten: „Die zweyte Opera, genannt li veri Amici, welche […] Albinoni componirt und selbsten eine Violine mitgespielt hat, ist unvergleichlich gewesen, so daß kein Musicus, deren doch unterschiedliche von fremden Orten in München angekommen, die geringste Ausstellung zu machen gewußt.“

Der Erfolg in München verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass bereits 1703 kein geringerer als Apostolo Zeno über die Aufführung der „Griselda“ in Florenz voll des Lobes war. Aus einem Brief vom 24. Februar 1703 an einen Freund in Florenz erfahren wir, dass „die Musik des von ihm überaus geehrten Signor Albinoni und die Leistungen der Schauspieler“ sehr zu dem Erfolg beigetragen haben. Das Textbuch dieser Oper besaß auch der Empfänger des Briefes, Zenos Freund Anton Francesco Marmi. Er notierte auf der Titelseite den Namen Albinoni als den Komponisten der Oper und dass dieser bei der Aufführung die Violine gespielt habe. Weitere Opernaufführungen außerhalb Venedigs fanden in Genua („Elio Seiano“), Bologna („Il Giustino“), Piacenza („Alarico“), Prag („Lucio vero“) und in Treviso („Il più fedel tra gli amanti“) statt. Über die ‚rappresentazioni‘ hinaus ist ein längerer Aufenthalt an einem Fürstenhof nicht nachweisbar. Giazotto vermutet auf Grund des Widmungstextes von Op. II einen Aufenthalt zwischen 1678 und 1700 in Mantua bei Ferdinando Carlo, Duca di Mantova; wahrscheinlicher ist dagegen eine Tätigkeit am Hofe der Medici. Hierfür spräche die Widmung des Opus III an Ferdinand III., dem Sohn des Großherzogs Cosimo III. im Jahre 1701, die Widmung der Cantate a una voce e basso von 1702 (im Lexikon von Walther als Opus IV) und schließlich die Aufführung der „Griselda“ 1703 im Theater von Cocomero. Ein solcher Aufenthalt würde jedoch dem Status eines ‚dilettante‘ – wie sich Albinoni auf den Titelblättern seiner im Druck erschienenen Werke zu dieser Zeit noch nennt – widersprechen.

Nicht nur in der Oper sondern auch in der Instrumentalmusik leistete Albinoni Bedeutendes. Bereits in den Sonaten Opus I (1694) zeigt sich seine progressive Haltung in der Anwendung des Soloprinzips und der Überwindung des a tre-Prinzips (so Erich Schenk in seiner Buchbesprechung zu „Johann David Heinichens Instrumentalwerke“ von Günter Haußwald, in Archiv für Musikwissenschaft, Jg. 7, Leipzig 1842, S. 60). Auch mit den Concerti Opus II und Opus V erwirbt sich Albinoni Verdienste. Er verwendet erstmals als Rahmen eines Satzes geschlossene Perioden in der Tonika, Perioden also, die nicht in die nächstverwandte Tonart modulieren. Dadurch ist es ihm möglich, eine nahezu vollkommene Übereinstimmung der Anfangs- und Schlussperiode zu erreichen; er brauchte sich nicht nur auf die Wiederholung des Hauptgedankens beschränken, sondern konnte auch den Fortspinnungsteil oder eine Schlussphase wiederholen. Die Balletti Op. III – sie sind wie die Concerti Op. III („L‘Estro armonico“) von Vivaldi – dem Gran Principe di Toscana, Ferdinand III. gewidmet – sie waren sowohl in Deutschland als auch in England bereits zu Lebzeiten Albinonis sehr beliebt. In jüngerer Vergangenheit wurden die Concerti a cinque Opus X bekannt, die unter der Verlagsnummer 581 bei Michel Charles Le Cène herausgegeben wurden (spätestens 1737, denn ein Katalog des Verlagshauses aus dem Jahre 1737 [im Liceo musicale in Bologna] hat 587 als höchste Verlagsnummer). Im Gegensatz zu den Concerti Opus VII und Opus IX wird in Opus X auf die Verwendung der Oboe verzichtet.

Der plötzliche Abbruch der musikalischen Produktion – Albinoni schrieb 1740 seine letzte Oper („Artamene“) – ließ seinen baldigen Tod vermuten. Erst seit den Untersuchungen Giazottos wird das Sterbedatum nach alter venezianischer Rechnung mit dem 17. Januar 1750 (M.V.) angegeben. Aus den ‚Atti di morte di Tomaso Albinoni‘, deren Wortlaut Giazotto (S. 317) wiedergibt, entnehmen wir folgende, für die Datierung wichtige Notiz: Parocchia dei Carmini, dai registri dell’ex di S. Barnaba. Morti a carte 165. Adì 17 gennaio 1750 M.V. – M.V. ist die Abkürzung für ‚more veneto’ und bedeutet ‚alte venezianische Datierung’. Nach dem alten venezianischen Kalender begann das Jahr mit dem 1. März, aber schon vor 1700 wurde offiziell die moderne Zählung eingeführt, neben der jedoch die alte venezianische bis Mitte des 18. Jahrhunderts üblich blieb. Tomaso Albinoni starb demzufolge nach dem modernen Kalender am 17. Januar 1751.