Als Johann Joachim Quantz 1714 in Pirna Konzerte Antonio Vivaldis
kennen lernte, begeisterte er sich für die
„prächtigen
Ritornelle“. Vierzig Jahre später beschrieb er sie
in seinem
„Versuch einer Anweisung, die Flute traversière zu
spielen“ (Berlin 1752). Gewiss hatte er in der Zwischenzeit
auch die Konzerte
von Johann Sebastian Bach, Johann Georg Pisendel und anderen kennen
gelernt. Er verlangt von einem Ritornell, dass alle Stimmen gut
ausgearbeitet sind, von gefälligem Gesang und richtiger
Imitation;
außerdem sei auf eine „proportionierliche
Länge“
zu achten, das heißt, ein Ritornell müsse wenigstens
aus
zwei Hauptteilen bestehen.
Joseph Riepel („Anfangsgründe zur musikalischen
Setzkunst“,
Regensburg/Wien 1752, S. 105) lässt seinen Praeceptor hierzu
sagen: „Das Thema oder Anfangs-Tutti macht man freylich gern
um
mehrere Täcte länger, damit man einige
Gegensätze davon
hin und wieder dem Solo einverleiben könne“. Im
dritten
Kapitel (S. 22) erfahren wir durch den Discantista, dass Vivaldi der
Komponist ist, nach dem der ‚Praeceptor’ seine
Lektionen
über das Konzert erteilt: „nun hat … ein
italienischer Violinist oder Componist, Namens Vivaldi, die Concerte
erdacht, oder doch in die Gestalt gebracht, so wie wir sie heut zu Tage
noch haben.“
Die in der Thematik von der Opernsinfonia und der Opernaria
beeinflussten Konzerte des Opus II von Tomaso Albinoni sind in ihren
Ritornellen von harmonischer Einfachheit. Ihnen stehen die Konzerte
Opus III von Vivaldi nahe, die jedoch energievoller im Rhythmischen und
darüber hinaus virtuoser und prächtiger angelegt sind.
Das Ritornell des zweiten Konzertes (e-Moll) von Opus II zeigt in
seinen beiden Teilen – Vordersatz und Fortspinnung
– einen
noch relativ geringen Kontrast. Achtel- und Sechzehntelwerte bei
geringer melodischer Amplitude lassen keinen sonderlich
ausgeprägten Charakter erkennen. Profiliert ist dagegen das
Ritornell des sechsten Konzertes in D-Dur. Jeder Takt enthält einen Baustein, ein Motiv (a-e).
Das Ritornell erinnert in seiner melodischen Struktur an das erste Konzert in D-Dur con quattro Violini
obligati aus Opus III von Antonio Vivaldi, in dem die Solovioline I,
nach eineinhalb Takten imitatorisch gefolgt von der Solovioline II, den
ersten Satz eröffnet. In Vivaldis Konzertsatz kehrt diese
prägnante thematische Bildung im Verlauf des Satzes in
dieser Klarheit nicht wieder. Stilistische Untersuchungen führten
Rudolf Eller zu dem Ergebnis, dass das Konzert zu den ,,relativ früh
entstandenen“ aus Opus III gehört und unmittelbar
nach 1700 entstanden sein dürfte (vergleiche Vorwort zur Ausgabe
des „Concerto I con quattro Violini obligati“, Opus
III, E. E. Nr. 1258, 1965).
Das D-Dur-Konzert (Opus II/6, 1. Satz) von Albinoni enthält im
Ritornell ein von ihm häufiger verwendetes Motiv; ein
dreimaliges Aufsteigen vom Quintton der Tonart zur Quarte, Quinte und Sechste
(respektive Oktave, None und Dezime, s. o. T. 3):
Schon in der 1690 entstandenen Sinfonia der Oper
„Engelberta“ erklingt ein ähnliches Motiv:
Im vierten Konzert von Opus II nimmt es thematischen Charakter an.
Zusammen mit drei Tuttischlägen, einer unvollständigen
Kadenz, bildet es hier den Vordersatz:
Die Analyse Arnold Scherings („Geschichte des
Instrumentalkonzerts bis auf die Gegenwart“,
Leipzig 1905, S. 74) übersieht offensichtlich, dass die
lediglich
wegen der größeren Eröffnungswirkung
vorangestellte
Kadenz im nachfolgenden Thema enthalten ist, demnach nicht a-Teil sein
kann.
Weniger prägnant erscheint wegen der Wiederholungen das
aufsteigende Motiv im handschriftlich überlieferten Concerto
F-Dur:
Diesem Motiv nun stellt Albinoni im D-Dur Konzert (Opus II, Nr. 6)
einen prägnanten Vordersatz voran. Die Gliederung wird klar
erkennbar in der Wiederholung auf der Dominante, bei der drei Motive in
der Reihenfolge vertauscht werden (d-b-c). Das nachfolgende
„Ritornell“ in der Tp begnügt sich allein mit dem
Rhythmus vom ersten Motiv (a), wobei es vom nicht modulierenden Solo
überlagert wird. Diese doppelte Konstellation ist
offenbar für die Konzertform entwicklungsgeschichtlich
bedingt;
ersetzt doch zweifelsohne die Fortspinnung des Tutti
zunächst noch das später an dieser Stelle
eingeführte modulierende Solo, wobei die enge Verknüpfung von
T
– D an die Sonata und besonders an die Tanzformen der Suite
(Balletti) und an
die Fuge erinnert.
Das gleiche doppelte Verhältnis wie im
D-Dur-Konzert weisen Vs. und Fsp. im C-Dur-Konzert (Nr. 5) auf. Auch
hier wird erst nach der Wiederholung des Vordersatzes auf der Dominante
das Solo eingeführt, das Material aus der modulierenden
Fortspinnung verwendet.
Einen Schritt weiter geht Albinoni in den Konzerten Nr. 2, e-Moll und
Nr. 4, G-Dur. Er überwindet die enge Bindung der Dominante
bzw. Tonikaparallele an die Tonika, indem das doppelte Verhältnis
von Vs. und Fsp. im Eröffnungstutti zum Teil aufgelöst wird und
das Solo sich kontrastierend dem Ritornell gegenüberstellt.
Das rasche Aufgreifen des Dominantbereichs und die nachfolgende Modulation
in den Parallelbereich findet man auch bei Giuseppe Torelli in den
Konzerten Opus VIII (1709) (vergleiche Franz
Giegling, „Giuseppe Torelli“, Kassel 1949, S. 62f.)
Im e-Moll-Konzert ist der Unterschied zwischen Tutti und Solo
–
besonders im Rhythmischen – wenig ausgeformt; deutlichere
Züge finden sich im G-Dur-Konzert. Viertel- und Achtelwerte
bestimmen das Bild des Ritornells, Sechzehntelfigurationen kennzeichnen
den embryonalen Solopart.
Wie kraftlos das Solo noch ist, erkennt man weniger an der
Kürze
der Passage, als vielmehr an ihrer motivischen Bedeutungslosigkeit und
vor allem daran, dass ihm innerhalb der Form noch keine Funktion
zugewiesen wird. Die bereits vollzogene Modulation der
Tutti-Fortspinnung in die Dominante wird figuriert vom Solisten noch
einmal vollzogen.
Entscheidend für die Entwicklung der Form ist die
Einführung
des Solo nach dem ersten harmonischen Feld, der Tonika, und die daraus
resultierende Trennung bzw. Distanzierung des Dominantfeldes. In seiner
Konsequenz führt dieser Weg zur formalen Aufwertung des
Solo-Abschnittes und zu einer zunächst gleichbedeutenden
Stellung
neben dem Ritornell innerhalb der Konzertform.
Die „Gegensätze“, wie Riepel (S. 105) die
Kontrastgedanken im Anfangstutti nennt, werden benötigt, um
daraus
motivisch das Solo zu speisen (vgl. Konzert D-Dur); sie können
aber auch für die Bildung von mittleren Ritornellen
herangezogen
werden. Riepel kommt den motivisch-thematischen Gegebenheiten der
Mittel-Tutti sehr nahe: (Praeceptor) „Das erste Mittel-Tutti
fange ich gemeiniglich so an, als wie das Thema-Tutti; nur
daß es
abgekürzt wird. Das zweyte Mittel-Tutti in der Sext (Tp) oder
in
der Terz (Dp) fange ich aber selten so an; sondern ich bediene mich zu
solchem Anfange etwan eines Gegensatzes vom Thema; oder es
muß
mir bisweilen das Solo selbst etliche Täcte dazu leihen, das
ist,
solche Täcte, die im Solo schon gehört sind worden.
Und das
tue ich deswegen, damit der Anfang des Thema nicht gar so oft
angehört dörffe werden. Beym Schluß-Tutti
gienge es
auch so an; jedoch pflege ich meistentheils nur einen tauglichen
Gegensatz darzu zu formiren, um endlich in Kürze den Kehraus
groß zu machen.“
Das D-Dur-Konzert (siehe oben) gibt in gewisser Weise ein
Modellbeispiel für das verkürzte Ritornell als erstes
Mittel-Tutti (a d b) und die Verwendung eines Kontrastgedankens (=
Gegensatzes / c) im Solo. In der diesem Konzert eigenen
Konzertierfreudigkeit wird vom Solisten, der das gesamte
nebentonartliche Feld (Tp) beherrscht, das dritte Ritornell geradezu
überspielt. Das Schlussritornell in der Tonika zeigt eine
für
Albinonis Konzerte typische Anlage. Das Anfangstutti wird nahezu
tongetreu wiederholt; es bleibt auch am Schluss der Fortspinnungsteil
e, nachdem von d die Wiederholung entfiel, für die –
hier
solistische – Weiterführung offen. Da eine
Modulation in die
Dominante an dieser Stelle nicht gerechtfertigt ist, wendet er sich zur
Subdominante und sequenziert sieben Tonstufen abwärts ein aus
dem
mittleren Solo und dem Fortspinnungsteil e stammendes motivisches
Material, dem er gewissermaßen kontrapunktisch den
Thema-Rhythmus
(a) unterlegt. Diese Erweiterung des Schlussritornells endet mit Takt
38. Es folgt ein Anhang mit dem Gegensatz c in der Umkehrung und mit
Wiederholung im Piano.
Im e-Moll-Konzert, Nr. 2, zeigt sich eine Eigenart Albinonis, das erste
Tutti zu formen, die man in den späteren Konzerten bis hin zu
Opus
X sehr häufig beobachten kann.
Dem Festhalten an den in den frühen Konzerten geschaffenen
Form-Modellen widmet Michael Talbot in seinem Artikel
„Albinoni: the professional dilettante“
(in The Musical Times, vol. 112, no. 1540, pp.538-541) einen
größeren Abschnitt. (S. 540: „Opus 5
[1707] represents
the approximate point of intersection of the two lines we might draw in
imitation of a graph – the one, almost horizontal, standing
for
the level of musical ‘form‘, the other, rising
evenly at a
steep angle, that of the musical ‘content’. By Opus
9
[1722], the disparity is embarrassing, by Opus 10 it is
lamentable.“) Nach seiner Ansicht hat Albinoni aus den
Ansätzen in der Entwicklung seiner Form nicht die
nötigen
Konsequenzen gezogen und es unterlassen, seinem
größeren
Zeitgenossen Vivaldi zu folgen („he failed to imitate
Vivaldi“). Wir folgen dieser Einschätzung nicht.
Rudolf Eller („Das Formprinzip des Vivaldischen
Konzerts“,
Leipzig 1957, S. 103) spricht bei der Behandlung von Vivaldis
später Konzertform davon, dass die Züge des Neuen
– die
zwar weniger in der ersten Phase seines Konzertschaffens, sondern erst
zu einer Zeit ausgeprägt waren, als die Form durch eine
größere Anzahl von Werken durch ihn stabilisiert
worden war
– „kaum zu einer Steigerung und Ausreifung der
Konzertform,
sondern eher zu einer gewissen Aushöhlung und Schablonisierung
geführt haben. Es war Vivaldi durch seine persönliche
Veranlagung weder vergönnt, die von ihm geschaffene
konzertierende
Aussageform – wie dies etwa J. S. Bach zu tun vermochte
–
zu einer größten musikalischen und geistigen
Intensivierung
im Sinne des Barock zu steigern, noch aber, sie zu einer dem neuen
Stilwillen entsprechenden Form umzuprägen“. Die Form
hatte
eine Verfestigung erfahren. Sie wurde nur noch angefüllt, im
Gegensatz zum Frühwerk, wo sie in jedem Einzelfall aus den
Grundspannungen des Materials erwuchs (ebenda S. 116).
Diese Disparität zwischen Form und
„Content“ (Talbot)
scheint offenbar in der Spätphase bei Vivaldi zu bestehen.
Im zweiten Konzert von Opus II verwendet Albinoni ein Modell, dessen
Fortspinnungsteil nicht in die nächstverwandte harmonische
Ebene
führt, sondern ein Tonikafeld abschließt. Danach
beginnt das
Tutti wieder mit dem Vordersatz und lässt den Gegensatz
folgen,
der durch die Zäsur jetzt deutlich vom Fortspinnungsteil
getrennt
ist. Klar erkennbar sind auch die kurzatmigen sequenzierenden
Fortspinnungsmotive nebeneinander gestellt; ein geschickter Kunstgriff,
um einen Kontrast zum anschließenden, fließenden
Solo zu
schaffen und gleichzeitig einer notengetreuen Wiederholung aus dem Wege
zu gehen.
In dem Bestreben, den Umfang der Konzerte auszuweiten, griff Albinoni
zuerst zum Mittel der Wiederholung bestimmter Formteile des Tutti.
Die Entwicklung der für Albinoni typischen Anlage der
Eröffnung in Opus II stellt sich folgendermaßen dar
(‚Entwicklung‘ ist auf die fortschreitende
Ausdehnung
tonikaler Flächen bezogen; es kann daraus wahrscheinlich keine
Chronologie abgeleitet werden. Die Möglichkeit, dass Albinoni
die
ersten Konzerte bereits kurz nach der Veröffentlichung seines
Opus
I schrieb, ist nicht auszuschließen):
Opus II, Nr. 6, 1. Satz:
Vs – Gs – Fsp (Tutti); T – D –
T / T – D (6 Takte)
Opus II, Nr. 5, 1. Satz:
Vs – Gs – Fsp (Tutti); T – D –
T / T – D (8 Takte)
Opus II, Nr. 4, 1. Satz:
Vs – Fsp (= Gs) – Fsp (Solo); T – T
– D – D (12 Takte)
Opus II, Nr. 2, 1. Satz:
Vs – Gs – Fsp (Tutti); T – D –
T (8 Takte)
Opus II, Nr. 1, 1. Satz:
Vs – Gs – Fsp (Tutti) – Vs – Gs
(Tutti); T
– D – T – T / T – D –
T – D (Tutti)
(11 Takte)
Das Konzert Nr. 1 enthält kein Solo, es ist aber für
spätere Konzerte (z. B. Opus IX, 10_I) grundlegend in der
Umdeutung
von Kadenzhalbschluss in (gelegentlich nicht erreichte) neue Tonika.
Bisher wurde besonderes Augenmerk auf die Anfangstutti gelegt. In den
Konzerten von Opus II und Opus V stehen sie zu den Schlusstutti in
einem Taktzahlenverhältnis von 1:2, einige 1:1, andere 1:3. In
den
ca. 1715 erschienenen Konzerten von Opus VII kehrt sich dieses
Verhältnis um. Neben Taktzahlenverhältnissen von 1:1
stehen
solche von 2:1 und 3:1. Daran ist wohl deutlich der Einfluss Vivaldis
zu erkennen, dessen Konzerte (Opus III) weitaus umfangreicher angelegt
waren. Albinoni versucht einen ersten Schritt, seinem zu dieser Zeit
vielleicht schon berühmteren Zeitgenossen zu folgen. Das
Ergebnis
ist eine Hypertrophie des Anfangstutti. In Opus IX kommt das
Verhältnis in ein Gleichgewicht, auch die Schlusstutti haben
an
Umfang zugenommen, und die Konzerte von Opus X (ca. 1736/37) zeigen in
den Proportionen das gleiche Bild wie Opus II. Der durchschnittlichen
Taktanzahl der Anfangssätze von 44 in Opus II stellen
dieselben in
Opus X 78 Takte entgegen, das heißt der Umfang hat sich
nahezu
verdoppelt, die Proportionen haben sich jedoch erhalten.
Eines der wesentlichsten Mittel, um die einzelnen Teile eines Konzertes
auszudehnen, ist die Wiederholung (Rudolf Eller, „Das
Formprinzip des Vivaldischen Konzerts“,
S. 46: „Das Anfangstutti bei Vivaldi wird stets als Komplex
gebildet, in dem das Verhältnis Vordersatz-Fortspinnung
wirksam
wird, wobei häufig der Vordersatz wiederholt
wird.“), sie
kann sowohl taktweise erfolgen als auch vollständige
Vordersätze ersten und zweiten Grades erfassen. Für
letztere
Möglichkeit bietet das e-Moll-Konzert ein Beispiel.
Es ist nun zu untersuchen, wie Albinoni die Mitteltutti und das
Schlusstutti formt.
Johann Adolph Scheibe deutet bei der Abhandlung der Konzerte
für
ein Instrument allein ein wesentliches Ordnungsprinzip an, wenn er
schreibt, dass die Solostellen deutlich unterschieden werden, wenn nach
der Kadenz des Hauptsatzes (Anfangstutti) „besondere neue
Sätze eintreten, und wenn diese wieder durch die
Haupterfindung in
veränderten Tonarten abgelöst werden“
(„Der Critische Musicus“,
S. 636). Als Muster diente ihm das Concerto nach italienischem Gusto
von J. S. Bach, von dem er 1739 in seiner Zeitschrift
„Critischer
Musicus“ schrieb, dass „dieses Stück auf
die beste
Art eingerichtet ist, die nur in dieser Art zu setzen anzuwenden
ist“ und „dass dieses Clavierconcert als ein
vollkommenes
Muster eines wohleingerichteten einstimmigen Concerts anzusehen
ist.“). Und Quantz („Versuch einer Anweisung, die
Flute
traversière zu spielen“, S. 296) betont, dass die
mittelsten Tutti nicht zu lang sein dürfen.
Wie diese Veränderung der Tonarten schulmäßig
auszusehen hatte,
erfahren wir von Joseph Riepel („Anfangsgründe zur
musikalischen Setzkunst“, S. 93). Er unterscheidet zwei
natürliche Ordnungen, die konzertmäßige T
– D
– Tp –T und die fugenmäßige T
– D –
Dp – T. Darüber hinaus kann ein Konzertsatz
ausgedehnt
werden, indem man vier Haupt-Soli, „weil es deren insgemein
nur
drey hat“, (ebenda, S. 94) setzt. In diesem Falle
hätte das
„erste Solo anzufangen in C, und zu moduliren ins G, wo
hierauf
das erste Mittel-Tutti oder Mittel-forte zu stehen käme. Das
zweyte Solo fienge eben in G wieder an, und modulirte ins A, wo das
zweyte Mittel-Tutti zu stehen kömmt. Das dritte Solo
müßte eben hierauf in A anfangen, und sich zum E,
nämlich zum dritten Mittel-Tutti wenden, worauf ich das vierte
oder letzte Solo in diesem E anfangen, und mich damit zum
Hauptschluß in C wenden, oder aber auch nach dem erstbemelt
letzten Mittel-Tutti auf einmal gleich das letzte Solo in C anfangen
könnte. Die fugenmäßige Ordnung
würde vielleicht
zu einer solangen Ausführung eben so gut sein, z. Ex. C
– G
– E – A – C.“
Walter Krüger („Das Concerto grosso in
Deutschland“,
Wolfenbüttel, Berlin 1932, S. 38) nimmt diese harmonische
Anlage
als Standardtypus für die Konzerte Vivaldis in Anspruch. Auch
Walter Kolneder („Die Solokonzertform bei Vivaldi“,
Strasbourg, Baden-Baden 1961, S. 10f. und S. 38), betrachtet den
harmonischen Großrahmen durch die Tonartenfolge der
Ritornelle in
der von Riepel genannten Weise als einen der wesentlichsten
Züge
der Vivaldischen Solokonzertsätze. Ebenso spricht Minos
Dounias („Die Violinkonzerte Giuseppe Tartinis“,
Wolfenbüttel, Zürich 1966, S. 22) in diesem
Zusammenhang von
den „üblichen Folgen“ in der
Modulationsordnung.
Rudolf Eller („Das Formprinzip des Vivaldischen
Konzerts“,
S. 116) weist nach, dass die Tonartenfolge besonders in den
späteren Werken Vivaldis weitaus variabler ist und sich nicht
ausschließlich auf die üblichen Folgen
beschränkt,
sondern sich stärker der Subdominantregion zuneigt.
T Dp Tp T (P* 325 1. Satz)
T Sp Tp T (P 138 1. Satz)
T Tp Sp Dp T (P 373 1. Satz)
T S Sp T T (P 202 1. Satz)
T Tp–Dp S T (P 202 3. Satz)
(*Marc Pincherle, « Antonio Vivaldi et la musique
instrumental », Paris 1948, Bd. II, Inventaire
thématique)
Für Albinoni wird die Subdominantregion auch in den Konzerten
von Opus IX und Opus X nicht bedeutungsvoll, wenngleich sie in einigen
Sätzen anzutreffen ist; so z. B. im dritten Satz des siebenten
Konzertes aus Opus IX: T – D – Tp – Sp
– Dp – T, oder im ersten Satz aus Opus IX, Nr. 2: T – Tp
– S – T. In der Mehrzahl der Konzerte stimmt das Schema der
Tonartenfolge mit dem von Riepel gegebenen überein.
Das oben erwähnte D-Dur-Konzert Opus II, 6_I enthält
im ersten
Mitteltutti drei Motive des Hauptsatzes und wird damit deutlich nach
der modulierenden Fortspinnung platziert. Zwischen diesem und den
Schlusstutti wird in den Takten 15-18 das Motiv d von der Solovioline
und von Takt 21-24 der Rhythmus von Motiv a von den ersten Violinen
wiedergegeben; darüber erklingt in der Solovioline von
Figurationen verdeckt das charakteristische Quintintervall in der
Umkehrung. Ein markanter Tutti-Einsatz im nebentonart1ichen Bereich
fehlt. Im ersten Satz des fünften Konzerts (C-Dur) von Opus II
steuert das Tutti die Dominantparallele e-Moll als Zielpunkt an,
verweilt aber nicht in dieser Tonart, sondern moduliert sofort
zurück in die Tonika; damit entfällt ein Mitteltutti.
Das e-Moll-Konzert (Nr. 2) beschränkt sich im Anfangssatz
auf das Ausweichen in die Tp. Der nur 30 Takte umfassende Satz – der
kürzeste von den sechs in Opus II – ist nach
folgendem
Schema gebaut: Tutti T e (Ritornell) Tutti/Solo T Tp G Tutti Tp G
(Ritornell) Tutti/Solo Tp G Tutti T e (Ritornell).
Harmonisch am reichhaltigsten ist das Konzert Nr. 4. Bereits im ersten
Ritornell folgen Tutti-Einsätze in G-Dur und D-Dur, in e-Moll
und
in h-Moll und schließlich wieder in der Tonika G-Dur. Die
Reprise, die Wiederaufnahme des Ritornellgedankens in der Tonika,
stellt sich bei Albinoni in unterschiedlichster Form dar. Neben
vollständigen, tongetreuen Wiederholungen (Opus V, 1, 3, 7, 8,
10)
– meist mit einem Anhang versehen – stehen
erweiterte
Schlussritornelle (Opus II, 5_I; 6_I; Opus V, 3_I; 6_I). Vielfach sind die
letzten Tutti unvollständig; Ritornellglieder fehlen (Opus IX,
6_I), Wiederholungen von Motiven sind ausgelassen (Opus II, 6_I; Opus V,
4_I), Ritornellglieder wurden umgestellt und mit freien
Einschüben
versehen (Opus IX, 9_I ), Motivverknüpfungen fehlen (Opus IX,
4_I ),
eine Soloepisode wird einbezogen, der ein Tutti-Anhang folgt (Opus II,
4) usw.
Der Tonikaeintritt in die Reprise erfolgt entweder vorbereitet durch
längere Dominantstauung oder mehr oder weniger verschleiert
durch
thematische Sequenzketten, wobei das letzte Glied gleichsam
Tonikaeintritt ist (Opus II, 4_I). Das unvermittelte Einsetzen der
Reprise wurde bereits beim e-Moll-Konzert erwähnt.
Damit sind wesentliche Merkmale der sechs Concerti aus Opus II
aufgeführt. Sie sind Ausgangspunkt einer Entwicklung, die in
Opus
VII ihren Höhepunkt erreicht und in den Konzerten Opus X sich
auslebt.
Vivaldis „L’Estro armonico“ war zwar erst
1711 im
Druck erschienen, zeitgenössische Zeugnisse jedoch belegen
(Karl
Heller, „Die deutsche Überlieferung der
Instrumentalwerke Vivaldis“
, Leipzig 1971, S. 178: In der Gräflich von
Schönbornschen Musikbibliothek zu Wiesentheid liegt neben
zahlreichen Handschriften Vivaldischer Werke eine Korrespondenz der
Brüder Johann Philipp Franz und Rudolf Franz Erwein mit dem
venezianischen Kaufmann Regaznig, dem Hauptvermittler von Musikalien
aus Venedig für die Familie Schönborn. Aus einem
Regaznig-Brief [den Kolneder mit dem 27.02.1710 datiert] erfahren wir,
dass er bemüht war, „noch einige rare compositiones
des
Vivaldi zu erhalten und nechstens zu behendigen“), dass
Konzerte
von ihm schon einige Jahre früher gefragt waren (Karl Heller,
ebenda, S. 179): „… als Zeitraum, in dem die in
Wiesentheid liegenden handschriftlichen Kompositionen Vivaldis in den
Besitz der Familie Schönborn gelangten, [kommen] mit
größter Wahrscheinlichkeit nur die Jahre zwischen
1708 und
1714 in Frage.“). So ist das 1707 veröffentlichte
Opus V von Albinoni nicht mehr mit Sicherheit in der Prioritätsfrage
heranzuziehen. Es kann jedoch wiederum nicht die Ansicht vertreten
werden, die Konzerte von Opus V wären erst 1707 oder kurz zuvor
komponiert worden.
Die Tatsache, dass die Schlusssätze in Opus V
„Meisterstücke fünfstimmiger
Fugenkunst“ (Arnold Schering, „Geschichte des Instrumentalkonzerts bis auf die
Gegenwart“, Leipzig 1905, S. 76) enthalten und „in den
Anfangssätzen
so viel ausgezeichnete und wohlklingende Kontrapunktik“ zu
finden
ist, neben der die bescheidenen Versuche in Opus II, 4_III verblassen,
lässt einen Kontrapunktunterricht in den Jahren zwischen 1700
und
1705 vermuten. Giovanni Legrenzi, Direktor des Conservatorio dei
Mendicanti und seit 1685 Kapellmeister an San Marco wäre
zweifelsohne der ergiebigste Lehrer gewesen, aber er starb bereits
1690. Aus seinem Schülerkreis stammt der mit Albinoni
befreundete
Antonio Biffi, er war um 1705 Maestro di Cappella in San Marco und
Trauzeuge bei der Eheschließung Albinonis mit Margherita
Rimondi
(1705), und Johann Mattheson („Grundlage einer
Ehrenpforte“,
Hamburg 1740, S. 371) berichtet von dem Unterricht, den Daniel Gottlieb
Treu von Antonio Biffi im Singen und Spielen und im Kontrapunkt
erhalten hat. Ob Albinoni lediglich „in amicizia con
l‘organista Biffi“ war (Remo
Giazotto,„Tomaso Albinoni“
, Milano 1945, S. 25), oder ob möglicherweise ein
Lehrer-Schüler-Verhältnis dieser Freundschaft
vorausgegangen
war, bedarf noch der Untersuchung.
In den Konzerten von Opus V wird der Tutti-Solo-Wechsel
häufiger,
aber auch hier ist das Solo von ähnlich geringer struktureller
Selbständigkeit wie in Opus II. Der innere Zusammenhang mit
den
Tutti, den Ritornellen, lässt das Solo sich zumeist mit
Umspielungen der in den Ripienviolinen erklingenden Motive
begnügen. Die enge Bindung löst sich erst im Opus
VII. Das
Solo wird selbständig und steht dem Tutti gleichwertig
gegenüber.
Marc Pincherle („Antonio Vivaldi et la musique
instrumental“,
Paris 1948, S. 228) geht der wechselseitigen Beeinflussung Albinoni
– Vivaldi nach und nimmt einen Einfluss Vivaldis bereits
für
Opus V in Anspruch infolge der gewachsenen langsamen
Mittelsätze
(„… il est possible que, dés ce moment,
plusieurs
années avant que d’être
édités, des
concertos de Vivaldi aient circulé et qu’en
prenant
exemple, Albinoni, de modèle soit devenu
l’imitateur de
son cadet.“). Im Hinblick auf die schnellen Ecksätze
muss es
fraglich erscheinen.
Die langsamen Sätze sind auch nur zum Teil
größer, und
Beispiele dafür bot zu dieser Zeit auch Torelli. Rudolf Eller
(„Das Formprinzip des Vivaldischen Konzerts“,
Leipzig 1957, S. 17) hält Pincherles
Gegenüberstellung (Pincherle, „Antonio Vivaldi et la
musique instrumental“,
S. 229) der relativ langen Soli aus Opus II, 6_I und der
kürzeren
aus Opus V, 1_I für irreführend, „sie kann
nur als Beleg
dafür gelten, daß Opus V in den Sololängen
nicht
über Opus II hinausgeht“. Beide stimmen jedoch in
der
Beurteilung des Verhältnisses, in dem beide Venezianer als
Schöpfer von Konzerten standen, überein; demzufolge
Albinoni „suit avec quelque difficulté dans le domaine de la
construction formelle“ (Marc Pincherle, „Antonio
Vivaldi et
la musique instrumental“, S. 229) Antonio Vivaldi, ohne dabei
diesen weder in den Ausmaßen (l’ampleur) noch in
der
„liberté ou la varieté des
coupes“ (ebenda,
S. 228) jemals zu erreichen. Zum Vorbild für Vivaldi wurde
Albinoni in der Formulierung des Ritornellgedankens, dem er
„Plastik und gewissermaßen die Kraft eines Zitats
verlieh“ (Arnold Schering, „Geschichte des
Instrumentalkonzerts bis auf die Gegenwart“, S. 75). Die Tuttithemen von Opus II und von Opus V verleugnen ihren
Einfluss aus der zeitgenössischen Oper nicht, ohne jedoch
deren
flüchtige Schreibweise zu übernehmen. Im Gegenteil,
ein
wesentliches Merkmal der Albinonischen Concerti ist die
äußerst gediegene Satzarbeit. Beispiele
dafür bieten
nicht nur die Schluss-Sätze in Opus V, sondern auch die
Anfangssätze; so das Konzert Nr. 2, F-Dur. Das
Verhältnis
Vordersatz – Fortspinnung prägt auch hier
– wie in
Opus II – die Anlage des ersten Tutti. Mit dem Eintritt der
ersten Soloepisode erklingt in den Ripienviolinen das Thema (Vs.).
Wurde in den Konzerten von Opus II die Modulation
gewissermaßen
nacheinander zweimal vollzogen, das erste Mal vom Tutti, dann vom Solo,
so finden wir eine engere Verbindung zwischen Tutti (Vs.) und Solo
durch die im Solo und im thematischen Tutti gleichzeitig erfolgende
Modulation.
Eine interessante Bereicherung der Tutti-Solo-Beziehung bieten die
Konzerte Opus V, Nr. 11 und 12. Der erste Satz des g-Moll-Konzertes,
Nr. 11, beginnt mit einem modulierenden Vordersatz (g nach B). Den
Fortspinnungsteil übernimmt das rückmodulierende Solo
(B nach
g). Danach setzt wiederum der Vordersatz in der Tonika ein und
moduliert nach B-Dur (Tp). Das anschließende Solo festigt die
neue Tonart. Das Tutti beginnt mit dem Ritornellthema, das vom Solo
übernommen und weitergesponnen wird und in die Dominante, nach
d-Moll moduliert. Ähnlich früheren Konzerten fehlt
das dritte
Ritornell.
Die Anlage der Eröffnungstutti (vgl. auch Opus V, 5_I) macht
deutlich, dass Albinoni nach Möglichkeiten sucht, das Solo
nicht
erst im Nebentonartenbereich zur Geltung zu bringen. Eine konstruktive
Rolle im Sinne Riepels spielt es nicht. Es ist dies eine
Formgestaltung, die in einigen der späteren Oboenkonzerte von
Opus
VII und IX wieder aufgegriffen wird. Dass Albinoni in den Konzerten mit
der Form, der Anlage von Tutti und Solo, dem harmonischen Plan usw.
experimentiert, zeigt das zwölfte Konzert in Opus V, das mit
einer
Eröffnung von Solovioline und nur erster Ripienvioline
(ähnliche konzertierende Passagen von Violino solo und Violino
Primo di Concerto finden sich nach einem Unisono-Anfangstutti in einem
Konzert C-Dur, Sammeldruck, Roger) in den ersten vier Takten anregend
für Vivaldis Soloeröffnungen in
„L‘Estro
armonico“ (1711) gewesen sein kann. Außerdem ist
die
rhythmische Verwandtschaft mit dem Vordersatz des fünften
Konzertes (1. Satz von Opus III) von Vivaldi unverkennbar (zunächst Albinoni darunter Vivaldi):
Das C-Dur-Konzert Opus V, Nr. 12, zeigt folgenden Aufbau. Der
Vordersatz, mit der im untergeordneten Verhältnis immanenten
Konstellation Vs. – Fsp., umfasst vier Takte (Solovioline und
erste Ripienvioline); ihm folgt die in die Dominante modulierende
Fortspinnung. Das Solo vollzieht dabei die Modulation, nachdem das
Tutti zum Halbschluss führte.
Opus V, 12_I: Vs./Tonika - Solo (a, b, c) Dominante; Fsp. – Tutti/Solo (d,
e) Tonika – Dominante.
Albinoni bedient sich des Schemas der Konzerte Nr. 5 und 6 von Opus II;
der Vordersatz endet mit einem Halbschluss, die Fortspinnung moduliert
in die Dominante. Das neue an diesem Ritornell ist die Klangstruktur.
Solovioline und erste Ripienvioline beginnen auch das Ritornell in der
Dominante, das im Fortspinnungsteil verkürzt wiederkehrt und
von
der zweiten Ripienvioline – unterstützt von den
übrigen
– weitergeführt wird. Damit wird gleichzeitig dem
wieder in
der Tonika einsetzenden Thema die Prägnanz eines
Ritornell-Einsatzes genommen. Diesen Übergang von Takt 14 zu
Takt
15 bildet eine kunstvolle Motivverknüpfung. Er beginnt mit der
Umkehrung der Figur aus T. 5 in der zweiten Violine (zweite
Hälfte
T. 14) und wird fortgeführt (Takt 15) mit der
Sechzehntelgruppe
des 3. Viertels aus T. 2 (Ripienvioline) bzw. der Gruppe des dritten
Viertels in T. 4 und wird abgeschlossen mit der Umkehrung der Figur aus
T. 2, drittes Viertel. Der Einsatz des Ritornell-Themas in der Tonika
(T. 15) fällt zusammen mit der Verwendung des
Fortspinnungsmotives, d. h. thematisch-motivische Elemente des
übergeordneten Vordersatzes erklingen simultan.
Derartige Verdichtungen sind in den Konzerten Albinonis keine
Seltenheit und gehören zu den interessanten Eigenheiten
dieses
venezianischen Komponisten. Der Ritornelleinsatz in C-Dur ist
Ausgangspunkt einer Modulation nach e-Moll (Dp), die zunächst
im
Wechsel von erster Ripienvioline und Solovioline abläuft und
das
Kopfmotiv der Fortspinnung in der Schlussphase verwendet, jedoch allein
von der Solo-Violine bestritten wird. Nach der Kadenz führt
die
Modulation sofort nach a-Moll (Tp). Die konzertierende Solovioline wird
vom Solo-Violoncello abgelöst; darüber erklingt im
Wechsel
der Ripienviolinen eine Motivvariante aus T. 5 (Violine II) bzw. deren
Teil-Umkehrung, T. 14:
Mit diesem Motiv wird auch die Rückmodulation in die Tonika
eingeleitet. Es erscheint in den verschiedensten Varianten, und mit dem
Einsatz des Schlussritornells (T. 40) spielt es das Violoncello, wobei
weniger die melodische Linie als vielmehr die harmonische Spannung von
T – S das Urmotiv noch erkennen lassen.
Das Schlusstutti steht zum Anfangstutti im
Taktzahlenverhältnis
3:2 und beginnt mit dem verkürzten Vordersatz, wie ihn das
Dominant-Ritornell aufwies. Ein neues Motiv wird eingeführt
und
mit Fortspinnungselementen des Vordersatzes verknüpft. Ein
Anhang
beschließt den Satz.
Auf den Einfluss, den Albinoni möglicherweise mit diesem
Konzert
auf Vivaldi ausgeübt hat, wurde oben hingewiesen; ebenso auf
die
Problematik der Prioritätsfrage. Die Annahme Pincherles
(„Antonio Vivaldi et la musique instrumental“,
Paris 1948, S. 54) und Kolneders („Antonio
Vivaldi“,
Wiesbaden 1965, S. 256 und S. 260), dass sich die Entstehungszeit der
Konzerte zu Opus III von Vivaldi über mehrere Jahre erstreckt
und
die Zeit von 1700 bis zur Druckausgabe (1711) umfasst,
schließt
dennoch nicht aus, dass selbst Formelemente aus Opus V anregend
für Vivaldi gewesen sein können. Unter den Konzerten
aus Opus
III von Vivaldi weist das fünfte in A-Dur auf Albinoni als
Vorbild. In den Konzerten von Opus III, „L‘Estro
armonico“, in denen die Ausformung des Tutti als Komplex und
des
eigenwertigen Concertinos oder Solos abgeschlossen ist, sind die
Beziehungen zwischen Tutti und Solo im Sinne der neuen Form gefestigt
(Rudolf Eller,„Das Formprinzip des Vivaldischen
Konzerts“ ,
Leipzig 1957, S. 39). Die ungewöhnliche Vielfalt der
Formgestaltung gestattet am Detail Verbindungen zu Vorbildern zu
knüpfen. Im Konzert Nr. 5, A-Dur, weist die Anlage des
Ritornells
durch ein da capo auf ein von Albinoni in Opus II geprägtes
Schema. Der erste Satz von Konzert Nr. 2 erweitert den Umfang des
Anfangstutti durch eine Wiederholung von Vordersatz und Fortspinnung
(vgl. auch das Anfangsritornell zum Konzert Nr. 1, Opus II).
Allein an den Taktzahlen, den Ausmaßen des
Eröffnungs-Ritornells – 16 Takte bei Albinoni und 46
bei
Vivaldi – aber auch in der klaren Gegenüberstellung
von
Tutti und unbegleiteten oder sehr durchsichtig begleiteten Soli, sind
die fortgeschrittene Entwicklung und die stilistischen Eigenheiten
Vivaldis deutlich ablesbar.